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von Sarina Schwarze 03 Mai, 2022
„Gestern ist etwas Schreckliches passiert“, erzählte die junge Kollegin völlig aufgelöst. „Frau S. war beim abendlichen Einsatz nicht mehr in ihrer Wohnung. Ich habe alles abgesucht, wirklich jede Ecke, habe laut nach ihr gerufen, aber nichts, keine Reaktion.“ Die Kollegin tippelt unruhig auf der Stelle, kann mir nicht in die Augen schauen, die Stimme wirkt fast weinerlich. „Ich habe dann eine Kollegin zu Hilfe gerufen. Sie kam und gemeinsam haben wir die Polizei informiert. Als die Polizei kam, gaben wir eine Personenbeschreibung ab und warteten.“ Ich unterbrach sie nicht und ließ sie zu Ende erzählen. „Nach etwa einer Stunde kam die Polizei mit Frau S. zurück. Sie haben sie im Park gefunden, im Nachthemd. Sie war völlig durchgefroren. Ich mache mir solche Vorwürfe. Was, wenn ihr etwas passiert wäre?“ Angst, Verzweiflung, Wut, Trauer - all das können Gefühle sein, die auftreten können, wenn ein geliebter Mensch in seiner Umgebung nicht mehr auffindbar ist. Als erstes kommen dann oft Selbstvorwürfe. Wenn wir uns die Gefühlswelt eines demenzerkrankten vor Augen führen, fällt es uns am Ende jedoch leichter, die Situation zu akzeptieren und damit angemessen umzugehen. „Ich bin hier fremd“ - Auf der Suche nach Sicherheit Angenommen, wir befinden uns an einem Ort, an dem wir uns nicht wohl fühlen, vielleicht sogar Angst vor diesem haben. Was ist unsere natürliche Reaktion? Genau, wir wollen weg, wir wollen flüchten! Am besten an einen Ort, der uns Sicherheit vermittelt, an dem wir uns geborgen fühlen, an dem wir keine Angst haben müssen. Manche Demenzkranke beharren darauf, irgendwo hinzumüssen. Oft wollen sie zur Arbeit, die Kinder abholen oder einkaufen und kochen. Für die Angehörigen wirkt es wie Weglaufen. Dabei haben die Menschen oft ein klares Ziel vor Augen, weshalb man heute von "Hinlauftendenz" statt von "Weglauftendenz" spricht. Wie kann ich mit der Hinlauftendenz umgehen? Schimpfen oder laut werden verbessern die Situation nicht, sondern führen im Gegenteil oft zu Wut, Stress und Aggressionen bei der betroffenen Person. Um mit der Situation besser umgehen zu können, sollten Sie sich vor Augen führen: „Der Demenzerkrankte hat immer recht!“ Die Gesprächstechnik der Va- lidation kann helfen, angespannte Situationen zu entspannen oder eben genau diesen vorzubeugen. Validation bedeutet, die Gefühle des Demenzkranken ernst zu nehmen, denn er erlebt es genauso in diesem Moment. Er möchte nicht einfach weglaufen, er möchte keinen Ärger machen. Nein, er sehnt sich nach Vertrautheit oder folgt einer tief in ihm verwurzelten Routine: Er möchte irgendwo hin! Beispiel Eine an Demenz erkrankte Frau äußert immer wieder den Wunsch für ihre Kinder zu kochen und möchte dafür einkaufen gehen.
 Was dahinterstecken könnte: Sie möchte Verantwortung zeigen und sich kümmern.
 Sagen Sie: "Mensch, das mit den Kindern ist eine wichtige Aufgabe. Du warst immer schon ein fürsorglicher Mensch, oder?" Oder: "Das verstehe ich, die Familie hat Hunger! Was soll es denn heute zu essen geben?" Ein weiteres Beispiel Ein älterer Herr will rechtzeitig zur Bushaltestelle, um zur Arbeit zu fahren. Was dahinterstecken könnte: Er möchte dem nachkommen, was jahrelang von ihm erwartet wurde und seinen Alltag geprägt hat.
 Sagen Sie: "Hast du dort etwas zu erledigen?" Oder: "Erzähle mir doch etwas über deinen Beruf als Schreiner. Das würde mich total interessieren.“ Prävention und Hilfe bei Hinlauftendenzen Ermöglichen Sie Bewegung und körperliche Anstrengung. Bewegung ist gesund, hat positive Effekte auch auf die Durchblutung bzw. das Gehirn. Zudem wird beim Gehen die Motorik, Gang- und Trittsicherheit trainiert. Im Fall des Hinlaufens kann es lebensrettend sein, unterwegs nicht zu stürzen. Behalten Sie Rituale und Gewohnheiten bei. Nehmen Sie Betroffenen nicht alle Dinge ab, die ein erwachsener Mensch normalerweise mit sich führt oder griffbereit hat. Dazu gehören Schlüssel, Bargeld, Papiere. Lassen Sie zu, dass Betroffene Aufgaben erledigen und fordern Sie die Erledigung im Rahmen vorhandener Fähigkeiten durchaus auch ein. Nicht selten wird Menschen mit Demenz alles abgenommen und Tätigkeiten unterbunden. Sich nützlich zu fühlen und tätig sein zu wollen ist zutiefst menschlich. Vermeiden Sie, dass der Betroffene sich irgendwo Aufgaben suchen muss. Statten Sie die Kleidung des Betroffenen mit Adresse und Telefonnummer aus. Ein Zettel oder eine Visitenkarte in der Jackentasche kann bereits hilfreich sein. Prüfen Sie regelmäßig, ob diese nicht entfernt oder verloren wurden. Ist das Thema Hinlauftendenz akut, ist es ratsam immer mal wieder ein aktuelles Foto von dem Betroffenen zu machen. Wir, das Team der AMKA GmbH, unterstützen Sie und Ihre Angehörigen bei der Bewältigung und Strukturierung Ihres Alltags. Wir beraten und informieren, wir sind professioneller Ansprechpartner bei Fragen rund um die Krankheit Demenz. Autorin: Sarina Schwarze Sarina Schwarze ist gelernte Krankenschwester und Praxisanleiterin. Sie begleitet seit drei Jahren pflegebedürftige und demenziell erkrankte Menschen in ihrer vertrauten Umgebung zuhause, zuvor 9 Jahre im stationären Rahmen. Sie ist stellvertretende Pflegedienstleitung der AMKA GmbH in Frankfurt/Main.
von Sarina Schwarze 02 Aug., 2021
Ich betrete die Wohnung von Frau S. Überall steht Kleinkram, Nippes, Gesammeltes aus der Vergangenheit. Jede Figur, jedes Bild hat seine Geschichte. “Dieses Modellauto habe ich in Österreich mit meinem Mann gekauft. Ach, war das schön. Wir sind so lange gewandert, bis wir Blasen an den Füßen hatten. Auf den Wegen gab es immer wieder kleine Souvenirläden. Ich erinnere mich so gerne zurück. Ist das schon lange her.” Ich finde immer wieder ein Gesprächsthema mit ihr. Sie hat so viel zu erzählen. Die Vergangenheit bleibt am längsten im Gedächtnis – so ist das meist bei Demenz. Es zaubert ihr ein Lächeln ins Gesicht, wenn sie über ihren Mann erzählt. Sie haben so viel gemeinsam erlebt. Die Wohnung als Lebensmittelpunkt Der Begriff Wohnung stammt vom altdeutschen ‘wonen’ und bedeutet ‘zufrieden sein’ oder ’bleiben’ . Frau S. hat ihre Möbel, ihr Tafelgeschirr, ihr silbernes Besteck schon gefühlt ihr ganzes Leben. Sie weiß, wo alles steht, findet sich auch bei Dunkelheit zurecht. “Damit ich nachts zur Toilette finde, lasse ich immer die kleine Lampe im Wohnzimmer an.” Das Leben ist ein Buch und erzählt die schönsten Geschichten Frau S. erzählt ihre Geschichten sehr detailreich. Ich kann mir richtig gut vorstellen, wie es wohl gewesen ist. So viel Liebe steckt darin. Es sind meist die positiven Ereignisse aus ihrem Leben, etwas was ihr Freude bereitet hat. In diesen Momenten geht es ihr gut. Es ist wichtig einfach da zu sein und zuzuhören. Als wären wir beide im Hier und Jetzt. Milieutherapie – was ist das eigentlich? In der Milieutherapie gibt es den Grundsatz, dass der Mensch nicht nur seine Umwelt beeinflusst, sondern gleichzeitig auch von ihr beeinflusst wird. Ein Milieu kann sich auf Entstehung, Verlauf und die Heilung einer Krankheit auswirken. Bedeutet: Bleibt der Erkrankte in seiner gewohnten Umgebung, in seiner Heimat , hat das positive Auswirkungen auf das Krankheitsbild. Es kann als eine Art Therapie verstanden werden. Durch die Gestaltung der Umgebung, durch Elemente, die das Wohlbefinden fördern, die Sinne anregen und Orientierung schaffen, soll die Lebensqualität der Menschen mit Demenz gesteigert werden. Kompetenzen sollen gestärkt und gefördert werden und die Umgebung soll sich an die Bedürfnisse der Menschen mit Demenz anpassen. Das Setting beeinflusst das Fortschreiten der Erkrankung Zum Setting, also dem Lebensumfeld, gehören nicht nur die Räumlichkeiten, sondern auch die Tagesstruktur, soziale Kontakte, sowie sich beschützt, behütet und sicher zu fühlen – die Urbedürfnisse des Menschen. Dadurch entstehen die Ziele der Milieutherapie: Reduzierung von Angst Orientierung in der Umgebung schaffen Wohlbefinden und Lebensqualität fördern Reduktion von Unruhe und Aggressionen Förderung und Erhalt der Alltagskompetenzen. Wie sieht das denn jetzt konkret aus? Wir unterstützen den Demenzkranken durch Anregung der Sinne: Riechen, hören, schmecken, tasten. Wir bieten Orientierung und Sicherheit durch Kalender, Uhren, einem festen Tag-Nacht-Rhythmus. Wir beachten die biographischen Aspekte in der Umgebungsgestaltung und fördern das Langzeitgedächtnis als wichtige Ressource des Erkrankten. Wir beachten sowohl das räumliche als auch das zwischenmenschliche Milieu. Für uns, für die AMKA, steht das Leben zu Hause an erster Stelle. Hier ist der sichere Hafen für den Demenzerkrankten. Hier fühlt er sich wohl. Autorin: Sarina Schwarze Sarina Schwarze ist gelernte Krankenschwester und Praxisanleiterin. Sie begleitet seit 3 Jahren pflegebedürftige und demenziell erkrankte Menschen in ihrer vertrauten Umgebung zuhause, zuvor 9 Jahre im stationären Rahmen. Sie ist stellvertretende Pflegedienstleitung der AMKA GmbH in Frankfurt/Main.
von S. Schwarze 28 Juni, 2021
„Entschuldigen Sie – das Verhalten meiner Mutter ist mir total peinlich.“ Gesichtsverlust – wo ist meine Würde? Eine Geschichte aus meinem Alltag als Demenz-Pflegefachkraft. Im Erstgespräch begegneten mir verschiedene Stimmungen und Gefühle: Wut, Trauer, Angst, Perspektivlosigkeit, Scham. Eine Achterbahnfahrt. Nicht etwa von der Neukundin Frau T. selbst, sondern von ihrer Tochter. Bei jedem Wort, welches ihre Mutter äußerte, biss sie die Zähne zusammen, wippte unruhig hin und her, spielte mit dem Kuli, schüttelte mit dem Kopf. Ich beobachtete, dass ihre Hände zitterten. „Was wollen Sie denn mit mir machen? Mich waschen? Das kann ich ja wohl noch selbst!“ sagte Frau T. entrüstet. „Diese Schlampen aus dem Krankenhaus wollten mir auch andauernd reinpfuschen.“ Plötzlicher Stimmungswechsel. „Was möchten Sie nun eigentlich von mir? Ich frage rein aus Interesse. Sie geben sich ja auch wirklich Mühe.“ Diesmal mit einem Lächeln. Am Ende des Gesprächs brachte mich die Tochter zu Tür. Sie berührte mich an der Schulter und flüsterte schon fast „Entschuldigen Sie, das Verhalten meiner Mutter ist mir total peinlich.“ Wodurch entsteht diese Reaktion? Mir selbst wäre es nicht eingefallen, die Situation als peinlich einzustufen. Für mich ist es nicht außergewöhnlich, sondern völlig normal. Ich fühle mich auch nicht peinlich berührt. Aber warum reagiert die Tochter nun so? Validation, Empathie oder anders gesagt: In den Schuhen des anderen gehen Perspektivwechsel. Ich versuche mich in die Situation der Tochter einzufühlen und mir ihre Gedanken vorzustellen. Im Kopf der Tochter mögen diese Fragen auftauchen: „Was ist aus meiner Mutter geworden?“ „Warum redet sie so?“ „Ist der Mensch, der sie mal war jetzt weg?“ „Verdacht auf Demenz sagten sie mir im Krankenhaus. Was soll ich jetzt damit anfangen? Der Arzt hat mich ja gar nicht richtig aufgeklärt.“ „Diese ganzen Fachbegriffe und ich verstehe nur Bahnhof“ „Jetzt stehe ich hier -alleine- und schäme mich.“ „Was sagt der Nachbar dazu, wenn meine Mutter plötzlich so ausfallend wird?“ „Werden es meine Arbeitskollegen und Freunde mitbekommen?“ „Wer hilft mir in dieser schweren Zeit und kann es überhaupt jemand verstehen?“ „So viele Fragen, auf die ich keine Antwort weiß.“ „Ich habe einen Pflegedienst eingeschaltet. Das war eine Empfehlung aus dem Krankenhaus. Kennen die solche Fälle? Ich habe wirklich lange mit mir gehadert dort anzurufen, weil mir das alles einfach so schrecklich peinlich ist.“ Jetzt verstehe ich es etwas besser. Demenz ist in unserer Gesellschaft leider stigmatisiert Stigmatisierung und mangelnde Aufklärung sind die Gründe, weshalb solche Gefühle und Gedanken entstehen. Laut einer Studie geben 25% an, die Diagnose Demenz aus Angst vor negativen Reaktionen geheim zu halten und ca. die Hälfte der Betroffenen fühlen sich vom täglichen „normalen“ Leben ausgeschlossen. Die demographische Entwicklung, also das stetige Älter werden der Gesellschaft, setzt dieses Problem in einen verschärften Fokus. Aus Angst, an den Rand der Gesellschaft gedrängt zu werden, ignorieren die Betroffenen oft erste Symptome. Doch davon wird es nicht besser – ganz im Gegenteil. Das Verstecken und Vertuschen macht die Situation für alle Beteiligten noch viel schlimmer. Wir haben uns auf DemenzCare spezialisiert und begleiten demente Menschen zuhause Wir haben es uns zur Aufgabe gemacht, Demenz gesellschaftsfähig zu machen, zu entstigmatisieren. Wir möchten Angehörige und Betroffene aufklären und sie begleiten. Uns liegt es am Herzen, dass Betroffene in ihrer vertrauten Umgebung zuhause leben können. Daher wollen wir ihre Fähigkeiten erhalten und fördern. Wir geben den Betroffenen eine eigene Stimme. Wir – das ist die AMKA in Frankfurt am Main . Inspiration – Innovation – Vision und im Herzen Perfektion. Mindset - die Macht der Gedanken Oft ist es einfacher, eine Situation zu verstehen, wenn man kurz versucht in den Schuhen des anderen zu laufen. Können Sie sich an Situationen erinnern, in denen Ihnen diese Methode geholfen hat? Brauchen Sie Unterstützung bei der Betreuung eines lieben Menschen in Ihrer Umgebung? Wir haben ein offenes Ohr und beraten Sie gern. Sprechen Sie uns einfach an: 069 – 670 83 07 oder schicken Sie uns eine Whats app-Nachricht unter 0151 – 56871213. Autorin: Sarina Schwarze Sarina Schwarze ist gelernte Krankenschwester und Praxisanleiterin. Sie begleitet seit 3 Jahren pflegebedürftige und demenziell erkrankte Menschen in ihrer vertrauten Umgebung zuhause, zuvor 9 Jahre im stationären Rahmen. Sie ist stellvertretende Pflegedienstleitung der AMKA GmbH in Frankfurt/Main. Bildquellen: „Plant Growing In Hot Dry Desert With Sunshine And Rain Storm Coming On The Horizon - New Life / Hope Concept“ – © Philip Steury – stock.adobe.com „Red human figure surrounded by a group of people. Leader Boss and leadership. Cooperation and teamwork. Outcast, hated opponent, criminal. Conviction.“ – © Андрей Яланский – stock.adobe.com 
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